London am Rhein

Wer im Sommer in London weilt, der sollte sie nicht versäumen – die „Proms“ in der altehrwürdigen Royal Albert Hall.    

Royal Albert Hall (Foto: pixabay)
Royal Albert Hall (Foto: pixabay)

Zugegeben – für den Konzertbesucher aus Deutschland wirkt es schon etwas befremdlich, wenn ein bunt gemischtes Publikum in Straßenkleidung das Rund füllt. Und noch verdutzter schaut er drein, wenn Jugendliche laut kundtun, aus welchem der Londoner Stadtteile sie stammen. Sobald aber der Dirigent den Taktstock hebt, könnte man eine Stecknadel fallen hören. Das war auch schon so, als 1895 Henry Wood das erste Konzert dieser Art dirigierte. Die Idee, die hinter diesen Konzerten steckte, war ganz einfach: Menschen durch niedrige Eintrittspreise und ohne „Dresscode“ an klassische Musik heranzuführen. Besonders begehrt sind Tickets zum Abschlusskonzert, der „Last Night of the Proms“, bei der die Briten viel von ihrem Seelenleben preisgeben.

Und dieses Mal war ich dabei!!!

Nun ja – draußen floss nicht die Themse. Und statt in der Royal Albert Hall saß ich im Binger Rheintal-Kongresszentrum. Aber ansonsten war das Flair „very British“. Unter diesem Titel holte Christian Ferel mit dem Sinfonieorchester Rhein-Main das typische „Last Night-Feeling“ an den Rhein. 

Üblicherweise ist der erste Teil dieses Events meist englischen Komponisten gewidmet. Georg Friedrich Händels „Feuerwerks-Musik“ war hier ein idealer Einstieg. Und das gleich in doppelter Hinsicht. So stimmte die pompöse Ouvertüre dieser Komposition auf den nach der Pause zu erwartenden Pathos ein. Aber auch der Komponist selbst weist eine Vita auf, die erklärt, warum im Publikum unübersehbar Europa-Fähnchen geschwenkt wurden. 1685 in Halle/Saale geboren, übersiedelte er später nach London, wo er 1759 verstarb und in der Westminster Abbey beigesetzt wurde.

Nicht wenige Konzertbesucher sahen in der Auswahl dieses Musikstücks eine kleine Spitze gegen den Brexit-Gedanken. Dafür vermittelte ihnen der zweite Teil zumindest ansatzweise ein Gefühl für die Geisteshaltung, die wohl Nährboden für den Brexit war und ist. Die dargebotenen Musikstücke rufen die Erinnerung wach an Zeiten, in denen sich Großbritannien noch als Weltmacht fühlen durfte.

Und diese Musikstücke erfordern einen Chor. Gleich zwei wurden an diesem Abend aufgeboten. Ihre Einstudierung lag übrigens in den Händen einer „FDP-Frau“, der Bad Kreuznacher Konzertsängerin Birgit Ensminger-Busse. Und auch bei der Sängerin, die traditionell das „Rule Britannia“ schmettert, ist Stimmgewalt gefordert. Das Publikum wurde gleich mit zwei Mezzo-Sopranistinnen verwöhnt, die Britanniens Unbeugsamkeit („Britons never never never will be slaves.“) überzeugend intonierten.

Die Atmosphäre des ganzen Abends war so authentisch – eben „very british“, dass Dirigent Christian Ferel, der so ganz nebenbei auch gekonnt durch das Programm geführt hatte, meinte: „Wenn die Briten diesen Abend in Bingen erlebt hätten, hätten sie sich das mit dem Brexit noch einmal überlegt.“.

Foto: pixabay
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